Oh, du Heuriger, oh, du wunderbare Institution!
“Heuriger” kommt natürlich vom “heurigen”, also diesjährigen Wein, weil die ursprüngliche Idee hinter dem Heurigen war, den Landwirt_innen und Bewohner_innen der unmittelbaren Umgebung den heurigen Wein und den Sturm der heurigen Ernte zu präsentieren. Winzer_innen haben 1784 das Recht bekommen, ohne besondere Lizenzen ihren eigenen Wein auszuschenken. Danke, Kaiser Joseph II.!
Der Unterschied zur Buschenschank, fragt ihr? Ich sags euch: Buschenschank ist die gesetzliche Bezeichnung für Betriebe, die in Wien gelegene Wein- und Obstgärten besitzen und in Wien ihre Betriebsstätte haben – diese sind berechtigt, Wein und Obstwein, Trauben- und Obstmost, Trauben- und Obstsaft aus betriebseigener Fechsung sowie selbst gebrannte geistige Getränke entgeltlich auszuschenken (§ 1 des Wiener Buschenschankgesetzes). Serviert werden dürfen ausschließlich kalte Speisen – zB Aufstriche, Wurst, Käse und Salate, sowie selbstgemachte Mehlspeisen (jaaa). Also ist eine Buschenschank eigentlich genau das, was ich als Heuriger verstehen würde. “Heuriger” hingegen ist kein gesetzlich definierter oder geschützter Begriff. JedeR GastronomIn darf also sein Lokal “Heuriger” nennen, wenn ihm oder ihr das sinnvoll erscheint. Also Achtung: Wo “Heuriger” draufsteht, ist nicht unbedingt Heuriger – im Sinne einer Buschenschank – drin. Spätestens wenn ihr “Stadtheuriger” oder “Heurigenrestaurant” lest, solltet ihr skeptisch werden. Also, vorausgesetzt, ihr sucht einen richtigen Heurigen, wo ihr einen heurigen Hauswein und eine ordentliche Brettljausen kriegt. Falls euch das wurscht ist, ihr vielleicht sogar lieber zu einem Stadtheurigen geht “weils zentraler ist”, oder weil diese in den letzten Jahren fast schon schwammerlartig in Hipstergegenden aus dem Boden sprießen und es halt naheliegend scheint, dort hin zu gehen, dann solls mir auch recht sein, aber seid euch bewusst: It’s not the real thing.
Buschenschanken bzw Heurige haben heutzutage übrigens länger offen als anno dazumal – aber nicht das ganze Jahr. Dass offen ist, erkennt man daran, dass ein Buschen vor der Tür hängt, womöglich begleitet mit einem Schild “Aus’gsteckt is!”.
Entlang der Wiener Weinberge im Westen und Norden der Stadt clustern sich die Wiener Heurigen. Schicki-micki oder unprätentiös. Nur Liptauer und Wachauer Laberl oder Feinschmecker-Platten. Mit Musik oder ohne. Bei den Wiener Heurigen ist wirklich für jeden Geschmack etwas dabei.
“Dort, wo der Wiener Folk zu Hause ist” sagte der von mir hochverehrte Ernst Molden einst über die Entdeckung eines Heurigen, der ihn, als Heurigenskeptiker, von seiner “Heurigenphobie” kurierte. Tatsächlich hat jede_r Wiener_in einen Lieblingsheurigen: Bei mir sind das wohl der Zawodsky, jener aufgrund seiner Nähe zur wunderschönen Kaasgrabenkiche mit grausamen Namen “Maria Schmerzen” für Agapen äußerst beliebter Heurigen in Sievering, von dem aus man bis zum Riesenrad im Prater schauen kann, der altehrwürdige Hirt, der oberhalb vom Kahlenbergerdörfl in die Weinberge geschmiegt, einen herrlichen Blick auf die Donau bietet und wo man sich beinahe in der Toskana “auf österreichisch” wähnt, oder auch der Müller, wo man wenige Schritte von der Bim-Endstation entfernt, nachdem man die steilen Stufen in den Gastgarten erklommen hat, eine kleine Oase der Ruhe und Glückseligkeit mitten in Grinzing findet. Kaum zu glauben.
Ich habe das große Glück, strategisch halbwegs günstig zu wohnen, und viele Heurigen kann ich spazierend erreichen, oder mit ein bisschen Starthilfe durch Bus oder S-Bahn. Wie an der beispielhaften Auswahl von Heurigen unschwer zu erkennen ist, habe ich ein geo- und biografisch bedingtes Faible für die Heurigen des 19. Bezirks. Andere Gegenden, wie etwa Stammersdorf, sind mir ziemlich fremd. Vielleicht wäre es aber an der Zeit für mich, über meinen Brettlrand hinauszuschauen, und auch mal Heurige außerhalb meiner comfort zone zu besuchen. Aber andererseits – es ist halt so gemütlich hier oben im 19.!