Oh, die Toskana! Sanfte Hügel, schöne Küste, mittelalterliche Städtchen, kunstgeschichtliche Renaissance-Schätze zum Abwinken, Zypressen, die keck aus der Landschaft ragen, pici cacio e pepe…und natürlich Wein! 65.000ha hat die Toskana an Rebfläche zu bieten. Die Rotweine Chianti, Brunello und Montalcino sind die Schlachtrösser der Region, die – eh scho wissen – zu den berühmtesten Weinbauregionen der Welt zählt. Aber, man glaubt es kaum, man findet auch Naturwein in der Toskana! Aufgrund der idealen öffentlichen Anbindung (ich sage nur: Direktnachtzug nach Wien!) haben Valentin und ich einen Stopp in und um Arezzo eingelegt.
Arezzo liegt am östlichen Rande der Toskana, ganz nah bei Umbrien und ist, mit Verlaub, das Linz von Italien. Hübsche, gut in Schuss gehaltene Altstadt, rundherum ein bissl fad so vom Look her, alle halten sich an alle Regeln und touristisch ist es nicht so bekannt und beliebt bei wie die umliegenden Städte (Florenz und Siena. Wer kann da auch mithalten. I mean.). Mein Urteil ist natürlich nicht ganz informiert, ich war nur ein paar Tage dort. Aber dennoch: Mir hat es gefallen, gerade weil es nicht so überfüllt war, und wir in Ruhe die Altstadt be-spazieren konnten. Gute Teile vom Film “La vita è bella” von und mit Roberto Benigni wurden übrigens hier gedreht! Wer es nicht wusste, wird in der Altstadt ständig darauf hingewiesen oder daran erinnert, der Film ist allgegenwärtig. Nach ein bisschen Sightseeing haben wir mit einem Haufen Schulkinder eine S-Bahn bestiegen und sind ein Stück rausgefahren, nach: Civitella in val di Chiana. Einen so klingenden Namen hat das Örtchen, wo Tunia Wines daheim ist!
“It all started with a joke.”
Tunia, das ist das Projekt von Chiara Innocente und Francesca di Benedetto. Chiara ist Ökonomin, Francesca Önologin. Bevor sie Tunia Wines gegründet haben, waren sie beide woanders angestellt: Francesca hat als Önologin auf einem größeren Weingut in Sizilien gearbeitet, wo sie, als “interne Önologin”, kein wirkliches Mitspracherecht hatte. Chiara wiederum hat in einer Bank gearbeitet und sich gefühlt, wie eine Nummer – austauschbar und ohne wirklichen eigenen Beitrag. Mit dem Kauf von insgesamt 25ha Land und letztlich der Gründung von Tunia Wines haben sich die zwei Frauen den Traum der Selbstständigkeit und vor allem den Traum der eigenen Entscheidungen, der Selbstbestimmung, der Verantwortung erfüllt. Dass sie überhaupt 25ha Land – davon 15ha Weingärten – in einem Stück gefunden haben, in der Toskana of all places, ist ein echter Glücksgriff gewesen: Das Land rund um Civitella gehörte der Universität, die verkauft hat (verkaufen musste?), der neue Eigentümer hat dann stückchenweise verkauft. Mithilfe ihrer Familien und Freund_innen konnten Francesca und Chiara investieren. Sie bauen auch Gemüse an und machen Olivenöl aus eigenen Oliven. Ihr Wunsch wäre übrigens, eine echte gemischte Landwirtschaft, wo es “alles gibt, was man braucht”.
Auf der Suche nach einem Namen für das Weingut war den beiden Frauen wichtig, etwas zu finden, das die Gegend widerspiegelt, der zur Gegend passt. Der Name “Tunia” ist der Name einer etruskischen Göttin – und zwar jener Göttin, die für die Reifung der Früchte zuständig ist. Na, wenn das nicht passt!
“The grapes need to be perfect.”
Chiara und Francesca haben die alten Reben übernommen: Sangiovese aus den 1970ern, Cabernet Sauvignon aus 2005, Trebbiano teils-teils, einzig ein bisschen Vermentino haben sie neu ausgepflanzt. Die beiden Frauen arbeiten biologisch und naturnah – sie machen “vini naturali“, also Naturweine, das Einzige, was zu ihren Weinen dazukommt, ist ein bisschen Schwefel für die Haltbarkeit. Manches haben sie aus der Biodynamie übernommen – so mischt Francesca etwa ein eigenes Pflanzenschutzmittel – aber sie arbeiten nicht nach den Prinzipien der Biodynamie. Als wir sie besucht haben, Mitte September, waren sie schon in der Lesezeit – jedoch arbeiten sie anders als andere Winzer_innen, die ich kennen gelernt habe: Sie lesen zwei Tage am Stück, zu viert (!), weil die Trauben die perfekte Qualität haben müssen. Picky ladies (Achtung, Wortwitz!). Sie können pro Tag nämlich nur eine bestimmte Menge Trauben ernten, um sie dann gleich im Keller weiter bearbeiten, ganz frisch. Dann machen sie wieder eine Woche Pause, dann wieder zwei Tage Lese.
“Ageing in the bottle is important.”
Das Ergebnis dieser hingebungsvollen Arbeit sind sehr spannende, komplexe, herausfordernde Weine. Sie haben alle wortspielerische und sehr melodische Namen: Sottofondo, Chiarofiore, Chiassobuio, Cantomoro, Passatempo. Diese geheimnisvoll klingenden Namen zerschmelzen mir förmlich auf der Zunge! Wie schön! Die Idee hinter den Namen wurde ausgelöst von dem Fleckchen Land, wo der Sangiovese wächst: Dort fließt nämlich ein kleines Flüsschen namens Chiassobuio, ein zusammengesetzes Wort, welches es im Italienischen so nicht gibt, wörtlich übersetzbar mit: “Dunkellärm”. Wenn das nicht verheißungsvoll klingt! Klar wurde der Wein, den sie aus ca. 90% Sangiovese, 5% Colorino und 5% Canaiolo (übrigens die typische Chianti-Mischung!) machen, nach diesem Flüsschen benannt wurde. Die anderen Weine – ein weiterer Roter aus 100% Cabernet Sauvignon ein Weißer aus Vermentino und Trebbiano, ein Rosé auch aus Cabernet, ein Sprudel aus Trebbiano und ein Süßwein aus weißen Trauben – haben dann nach diesem Vorbild ähnliche Namen bekommen. Die Reifung in der Flasche ist den beiden bei ihren Rotweinen besonders wichtig – so verkaufen sie jetzt, 2019, also Weine aus den Jahren 2010 bzw. 2011!
Besonders spannend fand ich den Sprudel. Es ist kein “Pet Nat” (falls euch das interessiert, schaut euch mein YouTube-Video über Pet Nat an!), sondern ein zweifach vergorener Wein aus drei zeitlich aufeinanderfolgenden Lesen. Zuerst wird ein fertiger Wein gemacht aus unreif sowie reif geernteten Trauben. Sobald dieser Wein fertig vergoren ist, kommt der Most – also der gärende Traubensaft – von überreif geernteten Trauben dazu, und löst eine zweite Gärung aus. Heraus kommt ein intensiver Orange Wine mit einer griffigen Textur, geschmacklich reife, getrocknete Früchte (Apfel, Marille) und gut hefig.
Wie die Winzerinnen, so die Weine.
Die Weine von Tunia Wines sind präsent und verlangen Aufmerksamkeit. Dann zeigen sie auch ihre vielen Facetten. Wie ich diese Zeilen tippe, muss ich wieder daran denken, wie oft eigentlich die Weine und die, die die Weine machen, sich entsprechen. Wie gut der Weinstil zur Geschichte von Chiara und Francesca passt – zwei Frauen, die mit beeindruckender Klarheit ein gemeinsames Ziel verfolgen, dabei keine Kompromisse eingehen und viel dafür einsetzen. Dass ich hingerissen bin davon, ist jetzt nicht gerade verwunderlich. Ich fand es wahnsinnig spannend, zu erfahren, was die beiden antreibt, was ihre Vision ist, und natürlich die Weine durchzukosten. Grazie mille!